Freitag, 8. April 2016

«Die» oder doch «das» Val Müstair?

Ein einzigartiges Tal mit einigen rekordverdächtigen Besonderheiten. Überzeugen Sie sich selbst von der Schatzkiste Val Müstair.

Wieso eigentlich «die» und nicht «das»? Der Name stammt vom lateinischen Wort «monasterium» ab, zu Deutsch «Kloster», im Romanischen «Müstair». Das Klostertal also. Im Romanischen hat das Wort «Tal» die weibliche Form. Im Deutschen gibt es drei bestimmte Artikel: «der» für männliche, «die» für weibliche und «das» für sächliche Wörter. Intuitiv sagen wir «das» (Tal) Val Müstair, obwohl «La Val Müstairۛ» weiblich ist und im Deutschen als «die» Val Müstair übersetzt würde. Hier scheiden sich die Geister, wir entscheiden uns in diesem Bericht für den Artikel «das».

Hier wird Jauer gesprochen
Die Talschaft ist das östlichste Tal der Schweiz. Auch für den Kanton Graubünden besitzt es eine Besonderheit, denn es ist das einzige Bündner Südtal, in welchem Romanisch gesprochen wird. Nicht irgendein Romanisch, ein eigenes Idiom sogar. Doch der Münstertaler Dialekt Jauer hat im Gegensatz zu anderen Idiomen keine eigene Schriftsprache entwickelt, in der Schule und auf dem Amt wird Vallader (Idiom des Unterengadins) verwendet.


Eingebettet zwischen imposanten Passstrassen verleiht die geographische Lage dem rund 25 Kilometer langen Tal einen besonderen Anstrich. Es beginnt im Osten im italienischen Taufers im Münstertal (Vinschgau), grenzt im Süden an das Veltlin und im Nordwesten an die Schweiz. Geprägt vom kurvenreichen Gebirgspass Umbrail, dem höchsten Strassenpass der Schweiz mit 2‘501 Metern über Meer, und zum anderen vom Ofenpass, der das Tal mit dem Schweizerischen Nationalpark (SNP), dem einzigen seiner Art, verbindet. Der Umbrailpass galt bereits im Spätmittelalter als wichtiger Saumpfad für die Verbindung von Mailand mit Innsbruck. Auf der anderen Seite des Tals befindet sich der Ofenpass, dessen Name dem romanischen Wort «Fuorn» zugrunde liegt, denn im Mittelalter wurde in der Nähe des heutigen Passes Eisenerz abgebaut. Die Öfen, in denen das Erz verhüttet wurde, gaben dem Pass seinen Namen.

Vielfältiger Lebens- und ErholungsraumDer Fluss Rom im Romanischen, Rambach (auch Rombach) im Deutschen, gilt als einer der schönsten Schweizer Haupttalflüsse. Er entspringt hoch über Tschierv. Der Bergbach hat eine Besonderheit, denn er wird nicht zur Stromerzeugung genutzt. Doch auch hier hat der Mensch einst versucht, Einfluss auf den natürlichen Lauf des Baches zu nehmen. Statt jedoch weiter auf Verbauung und Begradigung zu setzen, entschieden sich die Münstertaler zur Renaturierung und gaben dem Fluss sein ursprüngliches Flussbett zurück. Dies kommt heute Mensch und Natur zugute, denn Flora und Fauna finden hier einen neuen Lebensraum, woraus für den Menschen ein lebendiger und vielfältiger Lebens- und Erholungsraum entsteht.
Topographisch kann das Münstertal in drei Talstufen eingeteilt werden. Auf der obersten liegen die Dörfer Tschierv und Fuldera (ca. 1‘660 m), auf der mittleren Valchava und Sta. Maria (1‘380 m) und auf der untersten Müstair (1‘250 m). Die kleinste Fraktion Lü, die Sonnenterrasse der am 1. Januar 2009 fusionierten Gemeinde Val Müstair, liegt auf 1'920 m ü. M. und bietet einen ungetrübten Blick ins Universum, weil es nur wenig Luft- und noch weniger Lichtverschmutzung gibt. Weit und breit liegt keine grössere Stadt, welche die Dunkelheit der Nacht künstlich aufhellt. Ein besonderer Fleck Erde, der in mondlosen Nächten einen klaren Blick auf den mit Sternen übersäten Himmel und die flimmernde Milchstrasse frei gibt. Mit blossem Auge können 5‘000 Sterne bestaunt werden, das ist im Verhältnis zum Blick aus einer grossen Stadt zehnmal mehr.

Kleinste Bevölkerungsdichte der Schweiz
Das Val Müstair hat noch mehr Rekordverdächtiges zu bieten. So befindet sich im Ort Sta. Maria die kleinste Whisky Bar der Welt, das Tal hat die kleinste Bevölkerungsdichte der Schweiz. Hier fallen acht Einwohner auf einen Quadratkilometer. Zum Vergleich: Die Schweiz weist eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von 201 Einwohnern pro Quadratkilometer auf. Auch im Tourismus wird Geschichte geschrieben, denn das 1200-jährige Kloster St. Johann/Clostra San Jon zählt zu einem von schweizweit elf UNESCO-Weltkulturerbestätten. Durch dieses Kloster sollte man meinen, das Tal wäre katholisch, doch die Geschichte spielt ein spezielles Spiel, denn mehr als 50 Prozent der Einwohner sind heute reformiert. Die Zeit der Religionswirren spaltet die Talbevölkerung in zwei Gruppen. Tschierv, Valchava, Lü, Fuldera und Sta. Maria, die fünf oberen Fraktionen des Gebietes, nehmen bereits um 1530 die Lehre der Reformation an. Das Klosterdorf Müstair bleibt hingegen katholisch.

Eine Jahrhunderte lange Tradition hat auch das Handweben. Die im Jahr 1928 gegründete Tessanda Val Müstair in Sta. Maria ist heute die letzte grössere Handweberei der Schweiz. In Sta. Maria befindet sich die kleinste und einzige Berufsschule der Schweiz für den Berufszweig Textilgestaltung. Ebenso gilt die Gesundheitsversorgung als Paradebeispiel und macht das Center da sandà Val Müstair mit seinen Angeboten und vielen zusätzlichen Dienstleistungen einmalig. Auch die vom «Kassensturz» als Testsieger im Jahr 2013 ausgezeichnete Bio-Knospen-Nusstorte stammt aus einer Backstube im Val Müstair, der Meier-Beck AG, und wirbt für dieses besondere Tal über die Grenzen der Schweiz hinaus. Ein Tal also, das noch so einiges zum Entdecken hat.

1 Kommentar:

  1. Danke, interessant Simone. oder Val Müstair, darüber bin ich auch schon gestolpert.

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