Samstag, 9. April 2016

Der Wald – die Lunge der Erde

Wir alle verwenden den Begriff Wald. Doch wann ist ein Wald eigentlich ein Wald? Haben Sie gewusst, dass es in der Schweiz keine landesweite Definition gibt? Für jeden Kanton sind bei der Bestimmung eines Waldes andere Merkmale und Details entscheidend.

Grundsätzlich ist ein Wald eine zusammenhängende Fläche, die mit Bäumen bedeckt ist. Der Mensch nimmt seit Beginn seiner Zivilisation grossen Einfluss auf die Entwicklung des Waldes. Deshalb hat die Welternährungsorganisation der UNO im Jahr 1970 einen Tag dem Wald gewidmet; am 21. März steht jeweils der Wald im Fokus.

Stark wie ein Baum
Er ist rätselhaft, voller Geräusche und Farben. Der Wald dient als Symbol des Lebens und als Quelle unseres Wohlbefindens. Der Wald nimmt auch einen wichtigen Platz als Kulturgut ein, denn Begriffe wie Baum oder Wald sind in vielen Redewendungen und Sprichwörtern enthalten. Was wären Märchen, Sagen, Literatur und Malerei ohne Bäume? Er hat vielfältige Funktionen. Er schützt uns vor Naturgefahren, reinigt unsere Luft, produziert den lebenswichtigen Sauerstoff, sorgt für unser Trinkwasser, liefert uns Holz, ist Heimat für viele Tier- und Pflanzenarten und bietet uns gleichzeitig Raum für Erholung und Naturerleben. Ohne Wald kein Leben. Die Funktion des Waldes ist in drei Oberfunktionen eingeteilt, Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion, die wir in diesem Artikel einmal genauer unter die Lupe nehmen.

Die Nutzfunktion des Waldes
Die Holzverarbeitung ist so alt wie die Menschheit selbst. Als vielseitiges und vor allem nachwachsendes Pflanzenprodukt zählt Holz weltweit vom Volumen und von der Masse her zu den bedeutendsten Rohstoffen für die Weiterverarbeitung wie auch als regenerativer Energieträger. Im letzten Jahrhundert war in fast jeder Gemeinde in der ALLEGRA-Region ein eigenes Sägewerk anzutreffen. Die Sägewerke hatten ihren Standort am Wasser, damit die Wasserkraft als Antrieb der Säge genutzt und das gefällte Holz so nahe wie möglich an der Quelle verarbeitet werden konnte. Zwischenzeitlich wurden die meisten Sägewerke aufgrund des wirtschaftlichen Wandels und der Globalisierung wegrationalisiert. In der Fraktion Tarasp jedoch ist noch eine solche Rarität in Betrieb. Seit Anfang 1900 steht die Gemeindesägerei im Ortsteil Craps. Anfangs wurde diese noch mit Wasserkraft angetrieben, doch mit der ersten Renovation circa 1950, als die Sägerei mit einem Vollgatter, einer meist zum Rundholzaufschnitt oder für Naturwerkstein-Rohblöcke verwendete Maschine und einer Fräse ausgestattet wurde, reichte das Wasser allein für den Antrieb nicht mehr aus. Es wurden zusätzliche Elektromotoren installiert.

Seit dem letzten Ausbau der Sägerei im Jahre 1972 wird nur noch mit Elektrokraft gearbeitet, da durch den Einbau eines Bögli-Vollgatters und einer Parallelfräse die Produktivität des Werkes nur mit der Energie des Wassers nicht mehr gewährleistet werden konnte. Die Sägerei Tarasp gilt heute als Kulturgut, denn dank dieser bleibt die Wertschöpfung im Tal, Arbeitsplätze werden erhalten und ein Gewerbebetrieb, der vom Aussterben bedroht ist, lebt weiter. Die Verantwortlichen des Sägewerks arbeiten von Anfang April bis Ende November an einer kostendeckenden Bewirtschaftung, nur so ist der Fortbestand dieses Betriebes möglich. Um konkurrenzfähig zu sein, setzt die Tarasper Sägerei auf Nischenprodukte wie Mondholz und kundenspezifische Spezialprodukte. Auch die Qualität hat einen wichtigen Stellenwert. Es wird nur bestes Rundholz aus gemeindeeigenen Wäldern im Unterengadin und Val Müstair, das FSC zertifiziert ist, verarbeitet. Abnehmer der Schnittwaren wie Bretter oder Balken sind Schreiner, Zimmereien, Dachdecker und Baufirmen in der Region. Die Nebenprodukte, Brennholz und Sägespäne, finden auch ihre Verwendung. Brennholz wird an Haushalte verkauft und das Sägemehl kommt vor allem auf den Wanderwegen der Region zum Einsatz. Die Lehrlinge des Forstbetriebs der Gemeinde Scuol haben ein Privileg, denn Sie dürfen einen Monat Ihrer Ausbildung in der Sägerei Tarasp verbringen und so ihr Wissensspektrum auch in der Verarbeitung des Holzes erweitern.

Bergwald ist Schutzwald
Nirgendwo anders sind die Menschen so zwingend auf den Wald angewiesen wie im Berggebiet. Die übergeordnete Bedeutung unseres Bergwaldes liegt darin, Siedlungen und Verkehrsverbindungen vor Lawinen, Steinschlag, Muren und Hochwasser zu schützen. Damit der Wald uns vor Naturgefahren schützen kann, ist es eine Aufgabe des Forstdienstes, den Wald in seiner Vielfalt zu erhalten und nachhaltig zu sichern. Ein reiner Lärchenwald beispielsweise erfüllt die Schutzwirkung vor Lawinen nicht wunschgemäss, denn Lärchen verlieren im Winter ihre Nadeln, wodurch bei Schneefall eine wenig strukturierte Schneedecke entsteht und sich sogar eine Lawine lösen kann. Deshalb sind Wälder mit verschiedenen Baumarten wie Tannen, Fichten, Arven und Föhren sehr wichtig für uns. Die Baumkronen dienen als Schneefang und fördern so die Bildung einer gut strukturierten Schneedecke, wodurch sich die Lawinengefahr minimiert.

Doch der Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume, Biodiversität ist ein wichtiges Schlagwort. Neben Bäumen wachsen dort Sträucher, Pilze und Flechten. Auch die Fauna findet ein Zuhause in unseren Wäldern, wo nicht nur Wild wohnt. Deshalb sind Waldränder mit einer möglichst hohen Vielfalt von Baumarten erstrebenswert, um neben den Hirschen auch anderen Tieren wie Kleinsäugetieren, Käfern, Vögeln, Ameisen oder Schnecken einen geeigneten Lebensraum zu bieten. Die ALLEGRA-Dörfer liegen am Rande des Schweizerischen Nationalparks, einem Paradebeispiel aus dem letzten Jahrhundert. Vor 101 Jahren gegründet, um ein Stück Natur für die Nachwelt zu bewahren, schmückt dieses Stückchen Erde unsere Ferienregion mit einem Naturheiligtum, das wir schätzen lernen sollten. Die Doppeldeutigkeit des Wortes «Schutzwald» zeigt beide Aspekte gut auf; zum einen schützt uns der Wald und zum anderen muss der Wald geschützt werden.

Erholungsraum Wald
Stille, frische Luft – Natur pur. Die saubere Waldluft wirkt ausgleichend und gesundheitsfördernd auf uns Menschen, und nicht zu vergessen: Grün beruhigt die Nerven. Nur schon ein Spaziergang oder eine Wanderung durch den Wald ist ein Naturerlebnis der besonderen Art. Das Ökosystem Wald ist für Gross und Klein ein faszinierender Spielplatz und gleichzeitig eine Lernstube mit durchgehenden Öffnungszeiten.

Als besonderer Waldbewohner zählt bei uns der Tannenhäher, eine Singvogelart aus der Familie der Rabenvögel. Er lebt am liebsten in Bergnadelwäldern, seine Leibspeise sind Arvennüsschen. Lange Zeit galt der Tannenhäher als verantwortlich für das Verschwinden der Arven in unseren Wäldern. Deshalb war der Vogel noch bis ins Jahr 1961 im Kanton Graubünden zum Abschuss freigegeben. Erste Forschungen in dieser Zeit zeigten jedoch auf, dass der Tannenhäher dem Wald nicht schadet, sondern Tannenhäher und Arve ein sehr nützliches Team bilden. Diese Zusammenarbeit ist ein Sinnbild des natürlichen Ökosystems. Der Vogel sammelt die Arvennüsse und vergräbt jeweils vier bis sechs Samen in einem Versteck. Ein Tannenhäher vergräbt pro Jahr rund 120‘000 Samen und versteckt diese in etwa 25‘000 Refugien. Bis zu 85% der Verstecke findet der fliegende Polizist wieder, auch bei hohen Schneetiefen, eine fast unglaubliche Leistung, haben wir doch schon Probleme unseren Schlüsselbund zu finden. Die restlichen rund 15% der eingebuddelten Nüsse reichen aus, damit sich der Arvenbestand erneuern und verjüngen kann. Meist wachsen sie als enges Grüppchen. Die Arve ist ein sehr robuster Baum, denn sie kann auch bei bis zu minus 40°C gut überleben, ihre ätherischen Öle wirken wie Frostschutzmittel.

Ein Ameisenhaufen. Auch im Boden finden sich interessante Lebewesen wie die Ameisen, die ein Vielfaches ihres Körpergewichtes tragen können. Sie sind nicht nur stark, sie nehmen auch bei der Stabilisierung des ökologischen Gleichgewichts eine Schlüsselrolle ein. Ameisen, die Müllmänner des Waldes, sind unter anderem wichtig für die Waldhygiene, sie verzehren Aas, verbreiten die Samen einheimischer Pflanzen oder verhindern die Massenvermehrung von Forstschädlingen. Die kleinen Tierchen sind als Einzeltier nicht überlebensfähig und bilden deshalb Staaten. Jede einzelne Ameise hat eine Aufgabe. Die Königin ist für den Fortbestand des Volkes verantwortlich, einmal befruchtet kann sie über 20 Jahre lang Eier legen. Die Arbeiterinnen bilden die Mehrheit im Ameisenstaat und verrichten alle Arbeiten, welche in einem Ameisenvolk anfallen, die Brutpflege, den Nestbau, die Nahrungssuche, die Verteidigung und die Versorgung der Königin. Junge Arbeiterinnen verrichten die Arbeiten im Nest, die älteren Tiere sind für den Nestbau und die Futterbeschaffung verantwortlich. In Sachen Organisation können wir von den Tierchen noch so einiges lernen, denn in einem Ameisennest wohnen bis zu zwei Millionen Ameisen zusammen und schaffen es, durch eine straffe Organisation gemeinsam zusammenzuleben.

Betreten des Waldes ist erlaubt! Öffnen Sie Ihre Augen, Ohren und Nase und nehmen Sie die Flora und Fauna unseres Waldkulturerbes einmal über Ihre Sinne war. Atmen Sie die ätherischen Öle tief ein, und nehmen Sie diesen besonderen Ferienduft mit nach Hause.

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